Wie soziale Identität als Puffer gegen Stress wirkt

Quelle: Luis Villasmil auf www.unsplash.com

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Für den Mensch ist es von grundlegender Wichtigkeit, mit anderen Menschen interagieren zu können. Ständig stehen wir vor der Herausforderung, Balance zwischen dem Bedürfnis nach Zugehörigkeit und dem Bedürfnis nach Abgrenzung zu finden: Auf der einen Seite wollen wir dazu gehören und uns geborgen fühlen. Auf der anderen Seite streben wir Einzigartigkeit an und grenzen uns durch unser Verhalten und Aussehen von anderen ab. Beide Faktoren spielen eine wichtige Rolle und helfen uns dabei, eine eigene Identität zu entwickeln.



Soziale Identität - Was ist das?

Der Aspekt Identität spielt nicht nur auf der persönlichen Ebene eine wichtige Rolle, sondern auch auf der sozialen Ebene. Die soziale Identität spielt eine wichtige Rolle für unseren Umgang mit mit stressvollen Episoden. Lange wurde davon ausgegangen, dass sozialer Kontakt eine essentielle Funktion als Stresspuffer erfüllt. Heute ist es weiter Konsens in der Wissenschaft, dass der positive Effekt, den Gesellschaft auf unser Wohlbefinden hat, deutlich stärker wirkt, wenn wir uns mit Menschen umgeben, mit denen wir uns identifizieren können, beziehungsweise mit denen wir eine Identität teilen (Praharso et al., 2017). In diesem Fall fühlen wir uns besser unterstützt und es ist wahrscheinlicher, dass wir die angebotene Unterstützung wahrnehmen. Neben der aktiven Unterstützung, die wir so von unserem Netzwerk beziehen, reicht allein das Wissen über soziale Zugehörigkeit aus, um im Angesicht von herausfordernden Situationen weniger Stress zu empfinden und mehr Resilienz zu demonstrieren (Praharso et al., 2017).

Was genau heißt nun also soziale Identität und wie können wir diese mit anderen Menschen etablieren? Laut Henri Tajfel, dem Begründer der Social Identity Theory, leitet sich die soziale Identität aus der Zugehörigkeit zu verschiedenen Gruppen ab (Taijfel et al., 1979). Aus diesen Gruppen (Familie, Freunde, Vereine, Nationalität, Religion, …) beziehen wir laut Tajfel unter anderem ein Gefühl von Stolz und Selbstbewusstsein. Sie stillen unser Bedürfnis nach Zugehörigkeit und erleichtern uns die Abgrenzung zu anderen (“wir” und “die”).

Quelle: Helena Hopes auf www.unsplash.com

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Soziale Identität herstellen

Und jetzt die gute Nachricht: es ist relativ einfach, zumindest ein oberflächliches Gefühl einer gemeinsamen Identität zu schaffen. Beispielsweise haben Levine et al. (2005) in einer Studie beobachtet, dass Fans der Fußballmannschaft Manchester United sehr hilfsbereit gegenüber anderen Menschen waren, die Trikots des gleichen Teams trugen, gleichzeitig aber eher zurückhaltend gegenüber Menschen, die Trikots anderer Fußball-Clubs trugen. Als allerdings die gemeinsame soziale Identität der Menschen als Fußballfans von den Forschenden gegenüber den Proband*innen kommuniziert wurde, ließ sich kein Unterschied mehr in der Hilfsbereitschaft gegenüber Fans des favorisierten oder rivalisierender Clubs beobachten. In einer weiteren Studie von Häusser et al. (2012) empfanden Teilnehmende weniger Stress vor dem Halten einer öffentlichen Rede, nachdem sie an eine gemeinsame soziale Identität mit dem Publikum erinnert wurden.

Vermutlich liegt die Ursache für diesen positiven Effekt darin, dass Stressoren als weniger bedrohlich wahrgenommen werden, wenn wir uns in einem sicheren Umfeld wägen und von Personen umgeben sind, die wir als uns ähnlich einschätzen (Praharso et al., 2017). In einem sicheren Rahmen nehmen wir es entsprechend als unwahrscheinlich wahr, dass unsere Ressourcen ernsthaft bedroht sind (Hobfoll, 1989) und sind deshalb eher dazu bereit, neue Dinge auszuprobieren und über unseren eigenen Schatten zu springen.

Was bedeutet das für uns?

Generell ist es immer ein lohnenswerter Ansatz, Gemeinsamkeiten zu suchen und zu betonen. Diese Herangehensweise kann uns dabei helfen, mit anderen ins Gespräch zu kommen und wer weiß - vielleicht entsteht beim Sprechen über Gemeinsamkeiten eine langjährige und wertvolle Freundschaft.

Rufen wir uns noch einmal die Studie von Levine et al (2005) in den Kopf, macht diese Strategie ebenfalls dann sehr viel Sinn, wenn wir etwas von anderen brauchen. Bringe also die eine oder andere Gemeinsamkeit zur Sprache, bevor du deinen Partner nach einem Gefallen bittest oder eine Gehaltserhöhung mit deiner Chefin besprichst.

Die Studie von Häusser et al. (2012) konnte darüber hinaus belegen, dass sich der Stresslevel der Proband*innen reduziert hat, nachdem sie an eine gemeinsame Identität mit den Menschen, die ihnen gegenüber waren, erinnert wurden. Haben wir also eine herausfordernde Situation vor uns, bei der schon der reine Gedanke an die Situation reicht, um uns schwitzige Handflächen zu bescheren, so kann das identifizieren von Gemeinsamkeiten mit unserem Gegenüber durchaus Druck aus der Situation nehmen.

Quelle: Helena Hopes auf www.unsplash.com

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Zuletzt noch eine Empfehlung: Fühlen wir uns gestresst so ziehen wir uns häufig zurück und reduzieren soziale Kontakte (Steinlin et al., 2016). Das wirkt allerdings kontraproduktiv. Wie wir in diesem Artikel beleuchtet haben, hat soziale Zugehörigkeit einen maßgeblichen Effekt darauf, wie unser Organismus mit Stress umgehen kann. Eine alte Zen-Weisheit besagt: „Meditiere 30 Minuten täglich, es sei denn du bist gestresst, dann meditiere eine Stunde.“ Das gleiche gilt wohl auch für den Kontakt zu Menschen, die uns Nahe stehen: Wenn du gestresst bist, ziehe dich nicht zurück, sondern suche Nähe zu Menschen, mit denen du dich wohl fühlst. Ein positives soziales Netzwerk und die Ausrichtung am eigenen Wohlbefinden spielen eine essentielle Rolle und machen dich Resilient (Hartmann et al., 2020). Lerne also, dein Umfeld und deine Mitmenschen als eine wichtige Ressource zu verstehen, wenn es um Stressbewältigung geht und binde sie (pro)aktiv in den Prozess mit ein.


Quellen:

Hartmann, S., Weiss, M., Newman, A. & Hoegl, M. (2020): Resilience in the workplace: A multilevel review and synthesis. Applied Psychology, 69(3), 913-959.

Häusser, J. A., Kattenstroth, M., van Dick, R., & Mojzisch, A. (2012). “We” are not stressed: Social identity in groups buffers neuroendocrine stress reactions. Journal of Experimental Social Psychology, 48(4), 973-977.

Hobfoll, S. E. (1989): Conservation of resources: A new attempt at conceptualizing stress. In: American Psychologist 44 (3), S. 513–524.

Levine, M., Prosser, A., Evans, D., & Reicher, S. (2005): Identity and emergency intervention: How social group membership and inclusiveness of group boundaries shape helping behavior. Personality and social psychology bulletin, 31(4), 443-453.

Praharso, N. F., Tear, M. J., & Cruwys, T. (2017). Stressful life transitions and wellbeing: A comparison of the stress buffering hypothesis and the social identity model of identity change. Psychiatry research, 247, 265-275.

Steinlin, C., Dölitzsch, C., Fischer, S., Schmeck, K., Fegert, J. M., & Schmid, M. (2016): Der Zusammenhang zwischen Burnout-Symptomatik und Arbeitszufriedenheit bei pädagogischen Mitarbeitenden in der stationären Kinder-und Jugendhilfe. Praxis der Kinderpsychologie und kinderpsychiatrie, 65(3), 162-180.

Tajfel, H., Turner, J. C., Austin, W. G., & Worchel, S. (1979): An integrative theory of intergroup conflict. Organizational identity: A reader, 56-65.

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